Trübe Aussichten. Asyl, rassistische Stimmungsmache und lokale Fehlentscheidungen

Vom Großen…

Im Jahr 2014 erreichte die Zahl der Menschen, die aus ihren Herkunftsgebieten vertrieben wurden einen negativen Spitzenwert seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges. Laut Hohem Flüchtlingskommissar der Vereinten Nationen (UNHCR) und Amnesty International waren im vergangenen Jahr weltweit 56,7 Millionen Menschen auf der Flucht. Der überwiegende Teil der Menschen flieht innerhalb der Landesgrenzen und in die Nachbarstaaten. So waren beispielsweise bis Ende 2014 sechseinhalb Millionen Syrer_innen im Landesinneren auf der Flucht, weitere drei Millionen haben in den Anrainerstaaten Zuflucht gesucht.

Nur ein kleiner Bruchteil der Betroffenen nimmt den gefährlichen Weg in Richtung der
Europäischen Union auf sich. Die Bundesrepublik nahm 2914 knapp 40.000 auf.

Vor dem Hintergrund steigender Flüchtlingszahlen werden auch in Deutschland härtere Töne angeschlagen. Nicht nur Pegida und seine Ableger, die insbesondere in Sachsen seit einigen Monaten mit regelmäßigen „Spaziergängen“ Rassismus auf die Straße tragen, sondern auch die Regierungspolitik setzt auf Abschottung anstatt auf die humanitäre Pflicht schutzsuchenden Menschen Zuflucht zu gewähren.

So wird im Sommer 2015 das Gesetz zur Neubestimmung des Bleiberechts und der
Aufenthaltsbeendigung den Deutschen Bundestag passieren. Damit wird die Inhaftierung von Geflüchteten zum Zwecke ihrer Abschiebung und ohne rechtmäßige Verurteilung erleichtert. Ein gesetzlicher Haftgrund soll zum Beispiel gegeben sein, wenn „erhebliche Geldbeträge für einen Schleuser“ bei unerlaubter Einreise aufgewandt wurden. Da es für Asylsuchende kaum legale Wege gibt um nach Deutschland zu gelangen, sind viele von ihnen allerdings auf FluchthelferInnen angewiesen.

… zum Mittleren…

Vor allem aus Sachsen schallt dieser Tage der Ruf nach Verschärfung des sowieso ausgehöhlten Asylrechts. Sachsen war und ist vor dabei, wenn es um die Forderung nach Erklärung vor allem der Westbalkanstaaten (Bosnien, Serbien, Mazedonien und neu: Kosovo, Montenegro und Albanien) zu „sicheren Herkunftsländern“ geht. Mit dieser Kategorisierung wird für die von dort fliehenden Menschen der Anspruch auf ein faires Asylverfahren konterkariert, sie haben Schnellverfahren und eine zügige Abschiebung zu befürchten. Es ist zudem die sächsische CDU, die mit ihrem Positionspapier „Integration und Zuwanderung“ unter anderem die Abschaffung
rechtsstaatlicher Garantien im Asylverfahren und stärkere Sanktionen gegen Asylsuchende fordert. Garniert werden diese politischen Weichenstellungen mit Aussagen wie „Der Islam gehört nicht zu Sachsen“ (Ministerpräsident Stanislaw Tillich) und der Forderung von AfD­ und CDU-Landtagsabgeordneten das Refugee­Protest­Camp auf dem Dresdner Theaterplatz zu räumen.

Es ist kein Wunder, dass vor dem Hintergrund dieser politischen Debattenlage Diskriminierung und Gewalt gegen Migrant_innen wachsen. Besagtes Protestcamp wurde am zweiten Tag seiner Präsenz von Pegida­-Anhänger_innen tätlich angegriffen. Seit die „Spaziergänge“ in Dresden begonnen haben, hat die Zahl der rassistischer Übergriffe laut der Opferberatung der RAA Sachsen dort akut zugenommen.

… ins Kleine…

Doch nicht nur der Ton, sondern auch die Praxis machen die Musik. Die menschenwürdige Aufnahme, Unterbringung und gesellschaftliche Inklusion der zu uns kommenden Menschen bleibt dringliche Aufgabe. Die Realität zeigt andere Bilder: Sachsenweit werden Menschen in Turnhallen und leer geräumten Verwaltungsgebäuden untergebracht, wo sie unter oft unannehmbaren
hygienischen Bedingungen und ohne Privatsphäre hausen müssen.

Leipzig dagegen baut seine umstrittenste Massenunterkunft aus. Mit der Erweiterung von derzeit 300 auf 500 Plätze wird die Torgauer Straße 290 die größte Asyl­Unterkunft in Sachsen sein. Auch die Lage am Stadtrand, im Gewerbegebiet widerspricht dem sich langsam durchsetzenden Weg Geflüchtete in kleinen Unterkünften oder eigenen Wohnungen in den Stadtgebieten unterzubringen. Die Torgauer sollte schon längst geschlossen werden, marode Gebäude und ein akuter Kakerlaken-­Befall machen das Leben dort zusätzlich zur Tortur.

Als Begründung für den Sinneswandel verwies auch die Stadt Leipzig auf die wachsenden Zahlen Asylsuchender in Leipzig. Wurden 2014 etwa 1200 Menschen nach Leipzig zugewiesen, wird sich die Zahl in diesem Jahr mutmaßlich verdoppeln. Doch auch wenn der Wohnungsmarkt enger wird, gibt es weiterhin ausreichend leer stehender Wohnungen, die sich als Quartiere für Asylsuchende eignen. Insbesondere die Wohnungsgenossenschaften verweisen auf einen Leerstand von mindestens 3000 nutzbaren Wohnungen. Mit einer klugen Liegenschaftspolitik, die nicht auf den
Ausverkauft städtischen Eigentums orientiert, könnten zudem städtische, bezahlbare Wohn-Kapazitäten geschaffen werden. Nicht zuletzt gibt es die individuelle Bereitschaft, mit Geflüchteten auch in Wohngemeinschaften zusammenzuleben. All diese Wege hat die Stadt Leipzig nicht beschritten und den Weg des geringsten Widerstands gewählt. Das ambitionierte und von zivilgesellschaftlichen Gruppen unterstützte Unterbringungskonzept von 2012, das explizit eine Abkehr von Massenunterkünften außerhalb des städtischen Lebens vorsah, wird damit unterlaufen.

Und schlimmer noch: Teilen der Initiativenlandschaft, die das Konzept seinerzeit gegen
rassistische Stimmungsmache verteidigt haben, wurden harsch aus der Diskussion herauszuhalten versucht, obwohl sie innerhalb weniger Wochen oben genannte Alternativ­Ansätze zur Torgauer Straße auf den Tisch gelegt hatten. Ganz zu schweigen von der systematischen Nicht-Einbeziehung der Betroffenen selbst.

Unterm Strich bleibt viel zu tun. Die wachsenden Zahlen Asylsuchender werden auch weiterhin zur Entladung tief sitzender rassistischer Ressentiments und Einstellungen führen, sowohl auf der Straße als auch in den Institutionen. Die mangelhafte infrastrukturelle Vorbereitung auf die Menschen, die vor Krieg, Verfolgung und anderen Notlagen, zu uns flüchten, droht weiterhin hart errungene Standards für ein zumindest in Ansätzen gleichberechtigtes Leben zu unterminieren.
Es liegt in unseren Händen, überall und jederzeit dafür einzutreten, dass Geflüchtete nicht zu Menschen zweiter Klasse gemacht werden.

http://www.willkommenimkiez.de/de/
http://www.menschen­wuerdig.org/
[luna]

Von der Forderung eines „Rechts auf Stadt“ zur Etablierung einer „Recht auf Stadt“- Bewegung in Leipzig

Die Stadt ist der Ort unseres alltäglichen Zusammenlebens; der Ort, in dem unsere Begegnungen stattfinden, indem wir unsere Beziehungen knüpfen, uns organisieren und unsere Utopien entwickeln. Nach diesem Verständnis bleibt die Artikulation des „Rechts auf Stadt“ nicht bei der Forderung nach günstigem Wohnraum oder weniger Privatisierungen stehen, sondern muss darüber hinausgehen. Das „Recht auf Stadt“ zielt auf das Recht zur umfassenden Gestaltung der gemeinsamen Beziehungen, auf die Beteiligung der (bisher) Ausgeschlossenen, neue Formen des Erfahrungsaustauschs und der Bildung des Gemeinsamen – und grundsätzlich auf die Möglichkeit, unser Leben jenseits von Verwertungszwängen zu organisieren. In der politischen Praxis muss ein Mittelweg zwischen realpolitischen Forderungen mit Forderungen, die über die kapitalistische Stadt als Lebensort hinausweisen, gefunden werden: Denn solange das Wohnen eine marktvermittelte Ware ist und die Stadt ein Feld für Investitionen darstellt, wird es zu Phänomenen wie Ausschluss und Verdrängungen in ihr kommen. Dennoch ist es stets sinnvoll auch in unserer Perspektive realpolitische Forderungen zu stellen, weil ihre Erfüllung das konkrete Leid der Stadtbewohner_innen – zumindest vorübergehend – lindert und etwas Besseres als die jetzige Situation durch sie aufscheint.

Es zeigt sich: (a) Angesichts steigender Mieten, durch die einkommensschwache Gruppen aus ihren Vierteln und an den Rand der Stadt gedrängt werden, (b) angesichts von Investor_innen, für die das Bedürfnis nach Wohnraum zum Mittel für die Realisierung der eigenen Renditerewartungen wird, (c) angesichts der Aufwertung von Vierteln, durch die die Spielräume für nichtkommerzielle Initiativen und Formen des gemeinsamen Zusammenlebens zusehends schrumpfen, (d) angesichts der Ausrufung von Gefahrengebieten, die ganze Straßenzüge zu Problemzonen erklärt und so polizeiliche Repressionen gegen ihre Bewohner_innen rechtfertigt (siehe Text Prisma) und (e) angesichts einer Stadtpolitik, die sich ganz auf das Leitbild einer unternehmerischen Stadt ausrichtet und danach strebt für Investoren attraktiv zu sein, sind die Kämpfe für ein „Recht auf Stadt“ in Leipzig noch unzureichend entwickelt.

Dennoch gibt es in Leipzig bereits mehrere Einzelpersonen, Initiativen und politische Gruppen, die bewusst oder (noch) unwissentlich ihr „Recht auf Stadt“ einfordern, oder sich gegen die Lebensform der unternehmerischen Stadt organisieren. Auf ihr Engagement kann aufgebaut werden. Der Ausgangspunkt des urbanen Widerstands ist die konkrete Lebenssituation, das heißt die Nachbarschaft. So haben sich Bewohner_innen in einigen Vierteln zu Initiativen – teilweise auch ohne eine linke Szenezugehörigkeit, wie in Anger-Crottendorf – als Reaktion auf Gentrifizierungstendenzen und drohende steigende Mieten zusammengefunden. Des Weiteren versuchen Ladenprojekte, wie beispielsweise das 2Eck, Orte der Selbstorganisierung der Nachbarschaft zu sein. In den studentischeren Vierteln Leipzigs gibt es eine vielfältige Anzahl Ladenprojekten wie Infoläden, Kulturprojekte, selbstverwaltete Bildungsangebote, offenen Voküs, uvm.. Diese Läden bieten in unterschiedlichen Bereichen Möglichkeiten einer Organisation des Lebens jenseits der Zwänge kapitalistischer Verwertungslogik und der unternehmerischen Stadt. Ihre Existenz ist aber ständig umkämpft, spätestens sobald das Viertel interessant für Investor_innen wird. In den weniger links-alternativen oder studentisch geprägten Vierteln gibt es bisher viel zu wenige solcher Initiativen, weswegen sie alleine nicht ausreichen, um Ideen einer anderen Stadt zu verwirklichen. Neben diesen Stadtteilinitiativen gibt es auch stadtübergreifende Gruppen wie Stadt für alle,welche sich in die politische Debatte der lokalen Tagespolitik einmischt, sowie das Anti-Verdrängungs-Bündnis Now_here (die Autor_innen dieses Textes), oder die Organisationsgruppe der GSO, welche die Forderung nach Freiräumen durch die jährlich stattfindende Demonstration politisiert hat. So gibt es schon Ansätze die einzelnen Kämpfe in einen größeren Zusammenhang zustellen, dennoch kann noch nicht von einer „Recht-auf-Stadt“-Bewegung gesprochen werden.

Die bestehenden Zusammenschlüsse sind noch nicht in der Lage, den oben Entwicklungen mit der notwendigen Gegenmacht zu begegnen. Um bezahlbaren Wohnraum für alle zu erkämpfen, muss es uns gelingen, die klassischen Szenegrenzen zu verlassen, von Verdrängung und Aufwertung betroffene Mieter_innen zu vernetzen und die zu organisieren, die, wie Erwerbslose, Geflüchtete oder Wohnungslose, in den offiziellen stadtpolitischen Diskursen nicht repräsentiert werden. So wollen wir abschließend einige Hinweise für eine Praxis nach diesem Verständnis geben. Zunächst halten wir die Demonstration auf der Straße als Praxisform für wichtig. Auch wenn wir ihnen eher eine symbolische Funktion zuschreiben. Dies können zum einen Solidemonstrationen für einzelne von den Gentrifizierung betroffene Häuser sein gegen, bspw. Entmietungsprozesse von Wohnhäusern (so bspw. veranstalteten die Bewohner_innen der Holbeinstraße 28a eine Demonstration zum Unternehmenssitz der für die Entmietung verantwortlichen KSW) und Verdrängungsprozessen von Freiräumen oder Wagenplätzen, zum anderen Proteste gegen die Stadtpolitik wie die GSO, sein. Durch Demonstrationen erhalten die Betroffenen eine mediale Aufmerksamkeit, da Problematiken und einzelne stadtpolitische Kämpfe sichtbar werden. Deshalb ist eine gute Medienarbeit in diesem Kontext sehr wichtig. Es kann darum gehen konkrete Praxen der Gentrifzierungsakteure zu skandalisiern oder positive Forderungen zu stellen. Des Weiteren können in der Vor – und Nachbereitung solcher Demonstrationen längerfristige Vernetzungszusammenhänge entstehen, in denen Menschen aus verschiedenen Betroffenheitssituationen zusammenkommen. Es gibt auch andere Formen, um auf die Gentrifzierung aufmerksam zu machen, die weniger Aufwand als eine Demonstration bedeuten, bspw. Aufklärungsarbeit wie Infoveranstaltungen und -flyer über die eigene Verdrändgungs- und Ausschlusserfahrung, oder Flahmobs bei städtischen Events. Bei letzterem ist es auch wichtig das Event und die Aktion so auszuwählen, dass sie medial bemerkbar werden. Gentrifzierungsakteure, wie die Stadtregierung und vor allem die Immobilienfirmen, fürchten nichts mehr als ein negatives Image für das Investitionsobjekt Leipzig und für das eigene Unternehmen. Gegen den Willen einer wehrhaften Stadtbevölkerung ist es schwerer, eine unternehmerische Politik durchzusetzen. Die Bedingung für jede gentrifizierungskritische Praxis ist aber immer eine Selbstorganisation der Betroffenen im Vorfeld. Es ist wichtig, dass sich die Bewohner_innen von Häusern in gentrifizierungsbedrohten Vierteln regelmässig austauschen über aktuelle Entwicklungen, bspw. Eigentümer_innenwechsel bei der bewohnten Immobilie oder angekündigte Sanierungen. Es ist genauso wichtig, dass sich Gruppen, die permanent Betroffene der Verdrängungsprozesse sind, wie Erwerbslose, Flüchtlinge oder Obdachlose selbst organiseren, um sich und ihre Probleme besser artikulieren zu können. Gruppen wie Now_here wollen für solche Selbstorganisierungen von Betroffenen Ansprechpartner sein und die unterschiedlichen Menschen in einer „Recht auf Stadt“ – Bewegung zusammenführen.

Organisiert Euch selbst, lasst uns die Kämpfe vereinen, denn es ist unsere Stadt und eine andere ist möglich!

[now_here]

Die Geister, die wir riefen

Galt Leipzig in den 1990er Jahren noch als Boomtown des Ostens, waren die Jahre nach dem Millenium hart für die Stadt. Weltweit musste Leipzig als Beispiel der „shrinking city“ herhalten, zehntausende Wohnungen standen leer und immer mehr Menschen zogen ins grüne Umland oder gleich nach Süddeutschland. In dieser Zeit wurde in Leipzig fieberhaft überlegt, wie sich die Schrumpfung gestalten oder der Trend vielleicht sogar umkehren lassen könnte. Ideen wie die Wächterhäuser entstanden in diesen Jahren, um marode Gebäude vor dem Abriss zu retten. Indes schaffte der Leerstand neue Möglichkeiten für Kulturschaffende: Dank der Verfügbarkeit preiswerter Räume hatte Leipzig Ende der Nuller Jahre zahlreiche Off-Locations. Insbesondere im Leipziger Westen wurden zuvor leerstehende Räume als Galerien, Clubs und Ateliers genutzt. Die Dynamik erinnerte fast schon an die wilden Jahre nach der Wende in Connewitz..

Aber so ein bisschen waren wir enttäuscht davon, dass von diesem neuen Charme Leipzigs anderswo niemand so richtig Notiz nahm. Stattdessen wollten alle immer nur ins zwar genauso arme aber immerhin offiziell sexy Berlin. Wie jubelten wir, als die New York Times – für viele überraschend – Leipzig für das Jahr 2010 als „Place to be“ bezeichnete und auf die in den neu entstandenen Räumen inzwischen tätigen Kreativen anhob. Was mit der Times begann, setzte sich mit beinahe jeder anderen halbwegs renommierten Zeitung fort, die Leipzig mal als „Disneyland des Unperfekten“ (FAZ) oder gar als „neues Berlin“ bezeichneten. Schwoll unsere Brust anfangs mit jedem Artikel immer breiter an, so merkten wir auch auf einmal, dass die Aufmerksamkeit für das kreative Schaffen Leipziger DJs und Veranstaltungscrews, KünstlerInnen und anderen auch dazu führte, dass sich Investoren für das preislich damals vollkommen unterbewertete Leipzig interessierten. Später durch die Finanz- und Eurokrise noch verstärkt, setzte ein Run auf die noch vor wenigen Jahren fast schon abgeschriebenen Gründerzeithäuser an, der bis heute immer mehr Dynamik gewinnt.

Freuten wir uns anfangs darüber, dass nun Hausruinen wieder instand gesetzt wurden, entstanden mit der Zeit immer mehr Konflikte. Waren es die Kreativen, deren Treiben eigentlich der Grund für den Umzug in den Leipziger Westen war, sah das mit der nächtlichen Lautstärke auf einmal ganz anders aus. Zu den bekanntesten Opfern zählte das Superkronik. Aber auch andernorts wurden neue Begehrlichkeiten geweckt. Wäre der Protest nicht so vehement gewesen, wäre auch die zweite Distillery bereits Geschichte.

Leipzigs Kulturszene genießt inzwischen überregional einen ausgezeichneten Ruf. Tourist_innen kommen längst nicht nur wegen Bach und Thomaskirche sondern vor allem die Jüngeren eher wegen der lebendige Clubszene. Doch auch Investor_innen muss klar gemacht werden, dass die Attraktivität Leipzigs nicht nur vom Auwald und Neuseenland sondern auch von der Lebendigkeit der hiesigen Kultur- und Clubszene abhängt. Wenn jetzt nicht engagiert gegengesteuert wird und in den letzten Jahren selbst geschaffene Freiräume zu Gunsten von Luxussanierung aufgegeben werden müssen, wird davon schon bald nicht mehr viel zu sehen und hören sein.

Wir fordern daher von der Stadtverwaltung bzw. vom Stadtrat, alle zur Verfügung stehenden Mittel zu nutzen, um Freiräume vor den Begehrlichkeiten von Investor_innen zu schützen und kreative Milieus zu schützen. Dies kann u. a. durch kommunale Immobilien, Ausweisung von Mischgebieten (wo im Gegensatz zu reinen Wohngebieten durchaus auch mal nachts mehr als nur das Rufen der Eulen zu hören sein darf) und gezielter Ansprache von Investor_innen geschehen. Die Möglichkeiten sind durchaus da – nur sie müssen politisch gewollt und auch umgesetzt werden. Dazu bedarf es mehr Mut und Engagement als bislang!

[FT]

Mitstreiter gesucht

Wir suchen für die diesjährige Global Space Odyssey am 11. Juli 2015 wieder Mitstreiter, die Lust haben uns tatkräftig zu unterstützen. Auf dem folgenden Link findet ihr eine Auswahl an Aufgaben, die wir gern mit euch besetzen möchten:
https://www.gso-le.de/gso-mach-mit
Demo: Hier verteilt ihr die GSO Hefte während der Demo und/ oder helft uns beim Aufräumen des Richard- Wagner- Hains.
Aufbau: Ihr helft beim Auf- und Abbau der Bühne und Stände im Richard- Wagner- Hain.
Kasse: Ihr deckt eine Kassenschicht in einer unserer Aftershow- Locas ab. Das dauert ungefähr 2- 3 Stunden und kann auch bis in die frühen Morgenstunden gehen.

Als Dankeschön für euer Engagement gibt es für jeden freien Eintritt zu allen Aftershows, sowie Getränkemarken; für diejenigen unter euch, die schon ab früh mit dabei sind auch ein kostenloses Essen.
Wir sagen schon einmal Danke. Meldet euch zahlreich. Wir freuen uns auf euch!

Auch in Leipzig…

Dieses Jahr feiert Leipzig sich selbst: Zumindest ist das das Vorhaben der Stadtverwaltung. Diese nimmt die Erwähnung des Ortes urbe libzi von Bischof Thietmar von Merseburg in seiner Chronik von 1015 zum Anlass für eine erneute Image-Kampagne. “1000 Jahre Leipzig, das sind 1000 Jahre herausragende wirtschaftliche, kulturelle und bürgerliche Tradition” wird in der Ankündigung zum Jubeljahr selbstbewusst geschrieben. Hier wird schnell klar, dass sich die Image-Kampagne “1000 Jahre Leipzig” nahtlos in die Einzigartigkeits-Rhetorik einreiht, die nun seit einigen Jahren durch Leipzigs Straßen geistert und mit “Hypezig” auch schon einen eigenen Namen bekommen hat. Doch diese Rhetorik versucht nur, die Sonnenseiten der Heldenstadt hervorzuheben und verkennt, dass auch in Leipzig Ausgrenzung und Verdrängung Alltag sind und nicht alle vom Hype um Leipzig profitieren.

Leipzig – ein Freiraumparadies?

Dabei sah es in der Zeit nach ’89 eher so aus, als würde sich eine gänzlich andere als die im Jahr 2015 so hochgelobte herausragende Stadtgeschichte anbahnen: Massive Deindustrialisierung und Privatisierung führten zu enormer Abwanderung. Leerstand und die billigen Mieten waren die Folgen. Somit wurde Leipzig zu einem Ort für viele, die nach preiswertem und gestaltbarem (Wohn)Raum suchten. Doch diese Zeiten sind vorbei! Seit gut 10 Jahren wächst die Stadt kontinuierlich. Mit einem Bevölkerungszuwachs von mehr als 2% jährlich gehört Leipzig momentan zu den am schnellsten wachsenden Städten in der BRD. Mehr noch: Diese Hypezig-Erzählung, diese Erzählung vom gestaltbaren Freiraumparadies der Nachwendezeit, vergisst, dass sich die Freiräume nicht einfach so gestalten ließen. Der Kampf um das Autonome Zentrum Conne Island in Connewitz in den 90ern ist ein Beispiel dafür, dass es zwar gestaltbaren (Wohn)Raum gab, dieser sich allerdings mühselig erkämpft werden musste. Hinzu kommt, dass diese Erzählung außer Acht lässt, dass die Postwendezeit für viele Leipziger_innen der Auftakt in ein extrem prekäres Leben war: ohne Arbeitsplatz, ohne Perspektive. So verwundert es kaum, dass Anfang der 1990er Jahre auch Leipzig Schauplatz für die rassistische Progromstimmung war, die 1991 in dem Angriff auf eine Asylunterkunft in Grünau gipfelte. Auf eine antirassistische Antwort musste damals vergeblich gewartet werden. Vielmehr traf der Angriff auf breite Zustimmung bei den Anwohner_innen. Dieser u. a. aus prekären Lebensverhältnissen emporsteigende Rassismus fand auch Anfang 2015 wieder seinen Weg auf die Straßen Leipzigs, verkörpert durch die Legida-Demonstrationen.

All dies findet in der Hypezig-Erzählung, der sich die Stadt so gerne bedient, keine Beachtung. Der Blick auf das Programm und die Ankündigungstexte des Stadtgeburtstags lässt vielmehr noch die Vermutung zu, dass unbequeme Aspekte der Stadtgeschichte bewusst ausgespart werden. Das Image der weltoffenen, kreativen und aufstrebenden Stadt soll weiter aufpoliert und noch mehr auf der Hypezig-Welle geschwommen werden. In diesem Kontext werden gerade die unmenschlichen Lebensrealitäten der Ausgegrenzten diskursiv in die Unsichtbarkeit gedrängt – in der wagen Hoffnung, sie mögen dort verweilen. Wenn wir aber ein Leipzig für alle wollen und kein Hypezig für wenige, dann müssen wir unseren Blick auf die Ausgegrenzten, die Unsichtbaren dieser Stadt werfen, die die Probleme der aktuellen Stadtentwicklung sichtbar machen.

Die unsichtbaren Seiten Hypezigs

Eine dieser aktuell unsichtbaren Seiten Hypezigs ist z. B. die massive Armut, die Leipzig 2012 sogar den unrühmlichen Titel der “Armutshauptstadt” einbrachte. Auch wenn Dortmund Leipzig diesen Titel mittlerweile abgenommen hat: An der Situation hier hat sich nicht viel geändert. Auch im Jahr 2015 leben mehr als ein Viertel der Stadtbevölkerung unter der Armutsgrenze, prekäre Beschäftigungsverhältnisse machen einen immer größeren Anteil der sozialversicherungspflichtigen Jobs aus. Kurz: Prekäre, also unsichere, Lebensverhältnisse sind für viele Leipziger_innen Alltag.
Es sind gerade die Armen, die am meisten unter den Auswirkungen der städtischen Imagepolitik leiden. Besonders deutlich wird dies an der Wohnungsfrage. Wo sich die einen an der Kreativität und Weltoffenheit der Heldenstadt erfreuen, sind besonders die armen Menschen mit Verdrängung konfrontiert. Denn mit dem Hype, der durch das Jubeljahr 2015 von städtischer Seite noch weiter befeuert wird, kommt auch die ökonomische Aufwertung. Gerade in Krisenzeiten sind (internationale) Investor_innen auf der Suche nach profitablen Anlagemöglichkeiten. Immobilien in der aufstrebenden Ostmetropole kommen da gerade Recht. Und tatsächlich lässt sich gerade jetzt beobachten, wie an allen Ecken der Stadt investiert wird: Es ist kaum eine Straße zu finden, in der nicht gebaut, luxussaniert oder modernisiert wird. Resultat dieser Dynamik sind steigende Mieten – und zwar im gesamten Stadtgebiet. Wohnraum wird immer mehr zur Ware, zum Anlageobjekt auf der Suche nach der optimalen Renditeaussicht.

Alles in allem zeigt das: Auch in Leipzig findet Gentrifizierung, also die systematische Verdrängung bestimmter Bevölkerungsgruppen aus den Vierteln, statt. Mieter_innen geraten zunehmend unter Druck, weil sie sich die durch Luxussanierungen extrem ansteigenden Mieten nicht mehr leisten können. Sie müssen ausziehen und den Mieter_innen weichen, die das nötige Kleingeld für eine Wohnung in Hypezig mitbringen.

Dass besonders die armen Menschen in Leipzig von dieser Gentrifizierungsdynamik betroffen sind, zeigt sich an der Wohnsituation von Hartz-IV-Empfänger_innen sehr eindrücklich: Die “Kosten der Unterkunft” (KdU), die vom Amt für die Kaltmiete übernommen werden, betragen in Leipzig 4,6 €/m². Bei einer im gesamten Stadtgebiet durchschnittlichen Kaltmiete von 6 €/m² wird schnell klar, dass es für Erwerbslose unglaublich schwierig ist, eine Bleibe zu finden, die von den KdU-Sätzen zu bezahlen ist. In Vierteln wie Lindenau, das noch vor einigen Jahren ein Ort war, an dem viele Hartz-IV-Empfänger_innen wohnten und den Stadtteil prägten, sind die Mieten in den letzten Jahren massiv angestiegen. Mittlerweile betragen die Kaltmieten der angebotenen Wohnungen 6,31 €/m² (Quelle: Immowelt). Für Menschen, die auf KdU angewiesen sind, ist es hier kaum noch möglich bezahlbaren Wohnraum zu finden. Sie werden gezwungen, das Viertel zu verlassen und in weniger attraktive Gegenden am Stadtrand zu ziehen, weit weg von ihrem sozialen Umfeld.

Gentrifizierung betrifft alle!

Aber nicht nur die Ärmsten sind von steigenden Mieten betroffen. Die Entwicklungen rund um die Karl-Heine-Straße in den letzten Jahren zeigen, dass Läden, die lange das Bild der Straße prägten – wie z. B. der Musikladen Underground – verdrängt werden. Gerade auf dieser Straße wird klar, dass die Zeiten der Selbstgestaltung längst vorbei sind und den Renditeaussichten der Immobilienbesitzer_innen weichen müssen.

Auch die Auseinandersetzung um die Wohnungen in der Holbeinstraße 28a, die in den letzten Jahren immer wieder in der Presse diskutiert wurde, zeigt, dass prinzipiell alle Mieter_innen von Gentrifizierung betroffen sein können. Nachdem die KSW (ein Immobilieninvestor, der in ganz Leipzig Wohnungen besitzt) das Haus in der Holbeinstraße kaufte, versuchte sie mit jeder erdenklichen Schikane die Bewohner_innen zum Auszug zu drängen. Trotz Widerstands und Protesten mussten die Mieter_innen Anfang 2015 für die lukrativen Profitaussichten der KSW Platz machen.

Schließlich zeigt der zunehmende Druck, den die Stadt auf verschiedene Wagenplätze in Leipzig ausübt, dass langfristig etablierte, aber eben auch unbequeme Freiräume verschwinden sollen.

All das macht deutlich: Wir haben es mit einem strukturellen Problem zu tun. Der auf die maximale Rendite ausgerichtete Wohnungsmarkt produziert keine preiswerten Wohnungen, sondern lediglich steigende Mieten, die schon jetzt für vielen Leipziger_innen kaum noch bezahlbar sind.

Auch, wenn es den Verantwortlichen der “1000 Jahre Leipzig”-Kampagne wohl nicht in den Kram passt, ist doch klar: Leipzig ist kein Beispiel herausragender Stadtgeschichte, sondern einfach nur kapitalistische Normalität. Bezahl- und gestaltbare (Wohn)Räume müssen Renditeinteressen weichen und ehemals als Freiräume dienende Orte werden zu Vorboten der Verwertung ganzer Straßenzüge. Ausgrenzungen wie der Rassismus der Legida-Aufmärsche sind Alltag. Und in diesem Kontext, vor dieser Situation hier, fällt der Stadt nichts anderes ein, als ein weiteres Loblied auf Leipzig zu singen, sich für die Konkurrenz um Investitionen zwischen den Städten zu rüsten und damit die systematische Verdrängung vieler Menschen weiter voranzutreiben.

Es gibt eine Alternative!

Die Lage mag hoffnungslos erscheinen. Aber ein anderer Weg als zunehmende Gentrifizierung und Ausgrenzung ist möglich. Aber letztendlich kann diesen Dynamiken nur eine grundlegende Veränderung etwas entgegensetzen. Wohnraum muss umfassend dem Markt entzogen und im großen Stil vergesellschaftet werden. Die unzähligen Hausprojekte, die gerade in Leipzig entstehen – Hausgemeinschaften, die dem Beispiel der Holbeinstraße 28a folgen und sich gemeinsam den Renditeinteressen ihrer Hausbesitzer_innen in der Weg stellen – sind Ansätze, um diese Alternative jenseits von Verdrängung zu erkämpfen. Aber diese Ansätze reichen nicht aus für einen grundlegenden Kurswechsel. Denn eines hat sich in den letzten 25 Jahren nicht verändert: Wenn wir Leipzig gestalten wollen, wenn wir wollen, dass Leipzig ein Ort für alle ist, dann müssen wir uns zusammentun und gemeinsam dafür kämpfen.

[Prisma]