Auch in Leipzig…

Dieses Jahr feiert Leipzig sich selbst: Zumindest ist das das Vorhaben der Stadtverwaltung. Diese nimmt die Erwähnung des Ortes urbe libzi von Bischof Thietmar von Merseburg in seiner Chronik von 1015 zum Anlass für eine erneute Image-Kampagne. “1000 Jahre Leipzig, das sind 1000 Jahre herausragende wirtschaftliche, kulturelle und bürgerliche Tradition” wird in der Ankündigung zum Jubeljahr selbstbewusst geschrieben. Hier wird schnell klar, dass sich die Image-Kampagne “1000 Jahre Leipzig” nahtlos in die Einzigartigkeits-Rhetorik einreiht, die nun seit einigen Jahren durch Leipzigs Straßen geistert und mit “Hypezig” auch schon einen eigenen Namen bekommen hat. Doch diese Rhetorik versucht nur, die Sonnenseiten der Heldenstadt hervorzuheben und verkennt, dass auch in Leipzig Ausgrenzung und Verdrängung Alltag sind und nicht alle vom Hype um Leipzig profitieren.

Leipzig – ein Freiraumparadies?

Dabei sah es in der Zeit nach ’89 eher so aus, als würde sich eine gänzlich andere als die im Jahr 2015 so hochgelobte herausragende Stadtgeschichte anbahnen: Massive Deindustrialisierung und Privatisierung führten zu enormer Abwanderung. Leerstand und die billigen Mieten waren die Folgen. Somit wurde Leipzig zu einem Ort für viele, die nach preiswertem und gestaltbarem (Wohn)Raum suchten. Doch diese Zeiten sind vorbei! Seit gut 10 Jahren wächst die Stadt kontinuierlich. Mit einem Bevölkerungszuwachs von mehr als 2% jährlich gehört Leipzig momentan zu den am schnellsten wachsenden Städten in der BRD. Mehr noch: Diese Hypezig-Erzählung, diese Erzählung vom gestaltbaren Freiraumparadies der Nachwendezeit, vergisst, dass sich die Freiräume nicht einfach so gestalten ließen. Der Kampf um das Autonome Zentrum Conne Island in Connewitz in den 90ern ist ein Beispiel dafür, dass es zwar gestaltbaren (Wohn)Raum gab, dieser sich allerdings mühselig erkämpft werden musste. Hinzu kommt, dass diese Erzählung außer Acht lässt, dass die Postwendezeit für viele Leipziger_innen der Auftakt in ein extrem prekäres Leben war: ohne Arbeitsplatz, ohne Perspektive. So verwundert es kaum, dass Anfang der 1990er Jahre auch Leipzig Schauplatz für die rassistische Progromstimmung war, die 1991 in dem Angriff auf eine Asylunterkunft in Grünau gipfelte. Auf eine antirassistische Antwort musste damals vergeblich gewartet werden. Vielmehr traf der Angriff auf breite Zustimmung bei den Anwohner_innen. Dieser u. a. aus prekären Lebensverhältnissen emporsteigende Rassismus fand auch Anfang 2015 wieder seinen Weg auf die Straßen Leipzigs, verkörpert durch die Legida-Demonstrationen.

All dies findet in der Hypezig-Erzählung, der sich die Stadt so gerne bedient, keine Beachtung. Der Blick auf das Programm und die Ankündigungstexte des Stadtgeburtstags lässt vielmehr noch die Vermutung zu, dass unbequeme Aspekte der Stadtgeschichte bewusst ausgespart werden. Das Image der weltoffenen, kreativen und aufstrebenden Stadt soll weiter aufpoliert und noch mehr auf der Hypezig-Welle geschwommen werden. In diesem Kontext werden gerade die unmenschlichen Lebensrealitäten der Ausgegrenzten diskursiv in die Unsichtbarkeit gedrängt – in der wagen Hoffnung, sie mögen dort verweilen. Wenn wir aber ein Leipzig für alle wollen und kein Hypezig für wenige, dann müssen wir unseren Blick auf die Ausgegrenzten, die Unsichtbaren dieser Stadt werfen, die die Probleme der aktuellen Stadtentwicklung sichtbar machen.

Die unsichtbaren Seiten Hypezigs

Eine dieser aktuell unsichtbaren Seiten Hypezigs ist z. B. die massive Armut, die Leipzig 2012 sogar den unrühmlichen Titel der “Armutshauptstadt” einbrachte. Auch wenn Dortmund Leipzig diesen Titel mittlerweile abgenommen hat: An der Situation hier hat sich nicht viel geändert. Auch im Jahr 2015 leben mehr als ein Viertel der Stadtbevölkerung unter der Armutsgrenze, prekäre Beschäftigungsverhältnisse machen einen immer größeren Anteil der sozialversicherungspflichtigen Jobs aus. Kurz: Prekäre, also unsichere, Lebensverhältnisse sind für viele Leipziger_innen Alltag.
Es sind gerade die Armen, die am meisten unter den Auswirkungen der städtischen Imagepolitik leiden. Besonders deutlich wird dies an der Wohnungsfrage. Wo sich die einen an der Kreativität und Weltoffenheit der Heldenstadt erfreuen, sind besonders die armen Menschen mit Verdrängung konfrontiert. Denn mit dem Hype, der durch das Jubeljahr 2015 von städtischer Seite noch weiter befeuert wird, kommt auch die ökonomische Aufwertung. Gerade in Krisenzeiten sind (internationale) Investor_innen auf der Suche nach profitablen Anlagemöglichkeiten. Immobilien in der aufstrebenden Ostmetropole kommen da gerade Recht. Und tatsächlich lässt sich gerade jetzt beobachten, wie an allen Ecken der Stadt investiert wird: Es ist kaum eine Straße zu finden, in der nicht gebaut, luxussaniert oder modernisiert wird. Resultat dieser Dynamik sind steigende Mieten – und zwar im gesamten Stadtgebiet. Wohnraum wird immer mehr zur Ware, zum Anlageobjekt auf der Suche nach der optimalen Renditeaussicht.

Alles in allem zeigt das: Auch in Leipzig findet Gentrifizierung, also die systematische Verdrängung bestimmter Bevölkerungsgruppen aus den Vierteln, statt. Mieter_innen geraten zunehmend unter Druck, weil sie sich die durch Luxussanierungen extrem ansteigenden Mieten nicht mehr leisten können. Sie müssen ausziehen und den Mieter_innen weichen, die das nötige Kleingeld für eine Wohnung in Hypezig mitbringen.

Dass besonders die armen Menschen in Leipzig von dieser Gentrifizierungsdynamik betroffen sind, zeigt sich an der Wohnsituation von Hartz-IV-Empfänger_innen sehr eindrücklich: Die “Kosten der Unterkunft” (KdU), die vom Amt für die Kaltmiete übernommen werden, betragen in Leipzig 4,6 €/m². Bei einer im gesamten Stadtgebiet durchschnittlichen Kaltmiete von 6 €/m² wird schnell klar, dass es für Erwerbslose unglaublich schwierig ist, eine Bleibe zu finden, die von den KdU-Sätzen zu bezahlen ist. In Vierteln wie Lindenau, das noch vor einigen Jahren ein Ort war, an dem viele Hartz-IV-Empfänger_innen wohnten und den Stadtteil prägten, sind die Mieten in den letzten Jahren massiv angestiegen. Mittlerweile betragen die Kaltmieten der angebotenen Wohnungen 6,31 €/m² (Quelle: Immowelt). Für Menschen, die auf KdU angewiesen sind, ist es hier kaum noch möglich bezahlbaren Wohnraum zu finden. Sie werden gezwungen, das Viertel zu verlassen und in weniger attraktive Gegenden am Stadtrand zu ziehen, weit weg von ihrem sozialen Umfeld.

Gentrifizierung betrifft alle!

Aber nicht nur die Ärmsten sind von steigenden Mieten betroffen. Die Entwicklungen rund um die Karl-Heine-Straße in den letzten Jahren zeigen, dass Läden, die lange das Bild der Straße prägten – wie z. B. der Musikladen Underground – verdrängt werden. Gerade auf dieser Straße wird klar, dass die Zeiten der Selbstgestaltung längst vorbei sind und den Renditeaussichten der Immobilienbesitzer_innen weichen müssen.

Auch die Auseinandersetzung um die Wohnungen in der Holbeinstraße 28a, die in den letzten Jahren immer wieder in der Presse diskutiert wurde, zeigt, dass prinzipiell alle Mieter_innen von Gentrifizierung betroffen sein können. Nachdem die KSW (ein Immobilieninvestor, der in ganz Leipzig Wohnungen besitzt) das Haus in der Holbeinstraße kaufte, versuchte sie mit jeder erdenklichen Schikane die Bewohner_innen zum Auszug zu drängen. Trotz Widerstands und Protesten mussten die Mieter_innen Anfang 2015 für die lukrativen Profitaussichten der KSW Platz machen.

Schließlich zeigt der zunehmende Druck, den die Stadt auf verschiedene Wagenplätze in Leipzig ausübt, dass langfristig etablierte, aber eben auch unbequeme Freiräume verschwinden sollen.

All das macht deutlich: Wir haben es mit einem strukturellen Problem zu tun. Der auf die maximale Rendite ausgerichtete Wohnungsmarkt produziert keine preiswerten Wohnungen, sondern lediglich steigende Mieten, die schon jetzt für vielen Leipziger_innen kaum noch bezahlbar sind.

Auch, wenn es den Verantwortlichen der “1000 Jahre Leipzig”-Kampagne wohl nicht in den Kram passt, ist doch klar: Leipzig ist kein Beispiel herausragender Stadtgeschichte, sondern einfach nur kapitalistische Normalität. Bezahl- und gestaltbare (Wohn)Räume müssen Renditeinteressen weichen und ehemals als Freiräume dienende Orte werden zu Vorboten der Verwertung ganzer Straßenzüge. Ausgrenzungen wie der Rassismus der Legida-Aufmärsche sind Alltag. Und in diesem Kontext, vor dieser Situation hier, fällt der Stadt nichts anderes ein, als ein weiteres Loblied auf Leipzig zu singen, sich für die Konkurrenz um Investitionen zwischen den Städten zu rüsten und damit die systematische Verdrängung vieler Menschen weiter voranzutreiben.

Es gibt eine Alternative!

Die Lage mag hoffnungslos erscheinen. Aber ein anderer Weg als zunehmende Gentrifizierung und Ausgrenzung ist möglich. Aber letztendlich kann diesen Dynamiken nur eine grundlegende Veränderung etwas entgegensetzen. Wohnraum muss umfassend dem Markt entzogen und im großen Stil vergesellschaftet werden. Die unzähligen Hausprojekte, die gerade in Leipzig entstehen – Hausgemeinschaften, die dem Beispiel der Holbeinstraße 28a folgen und sich gemeinsam den Renditeinteressen ihrer Hausbesitzer_innen in der Weg stellen – sind Ansätze, um diese Alternative jenseits von Verdrängung zu erkämpfen. Aber diese Ansätze reichen nicht aus für einen grundlegenden Kurswechsel. Denn eines hat sich in den letzten 25 Jahren nicht verändert: Wenn wir Leipzig gestalten wollen, wenn wir wollen, dass Leipzig ein Ort für alle ist, dann müssen wir uns zusammentun und gemeinsam dafür kämpfen.

[Prisma]