Stadtentwicklung – Was, wo, wie, wann, wer und warum eigentlich?

Wir schreiben das Jahr 2025. Das Gelände am Bayerischen Bahnhof ist weitläufig entwickelt und fertig bebaut: Der Park ist doch kleiner ausgefallen als gedacht, die geplanten öffentlichen Sportflächen mussten Bürohäusern weichen, neue kulturelle/soziale Einrichtungen oder gar Ateliers und Werkstätten gibt es nicht (manche sind gar verschwunden). Dafür prangt dort ein weiterer großer Biergarten, in dem sich das altbekannte Programm abspielt. Der Skatepark, der direkt über der Bahntrasse liegen sollte und sowohl diese Kultur als auch die Bahntrasse an sich damit ins Stadtbild heben sollte, statt sie zu verstecken, fehlt aufgrund finanzieller Engpässe. Ob diese Engpässe entstanden sind, um die vielen Stadthäuser und Villen ans Straßennetz anzugliedern, weiß niemand. Deutlich wird nur, dass auch hier wieder eine Chance vertan wurde, Stadt neu zu denken, auch aus ökologischer Sicht. Die alten Zwanziggeschosser an der Straße der 18. Oktober verschwinden gerade; es muss Platz geschaffen werden für ein neues Einkaufszentrum und hochwertige Neubauten.

Diese Vision könnte durchaus Realität werden, sollten wir nicht bald anfangen, Stadtentwicklung neu zu denken bzw. zu überdenken. Partizipation an Entwicklung bedeutet natürlich auch, sich Gedanken zu machen. Bedeutet Stadtentwicklung für uns z.B. etwa vorrangig Wohnen, also zu fragen, wie viel Miete vertretbar ist? Oder steckt doch mehr dahinter? Grob umrissen etwa Themenfelder wie Kultur, Sport, Freizeit, Freiflächen/Grünflächen/Natur, Bildung und Sozialwesen … Im gleichen Atemzug sollte auch hinterfragt werden, ob diese Aspekte am Ende doch wieder allein dazu dienen, privatisierten Wohnraum aufzuwerten und wenn ja: Wie kann das verhindert werden?

Unsere Stadt bzw. die Umgebung, in der wir leben und auch wohnen macht sicher mehr aus als nur eine bezahlbare, schöne Wohnung, in der wir uns wohlfühlen. Hier stellt sich also die Frage: Was zeichnet Leipzig bzw. Euer Lebensumfeld hier aus? Warum fühlt ihr Euch hier so wohl und was sind Eure Gedanken für die Zukunft dieser Stadt? Was fehlt Euch noch und was darf nicht verloren gehen?

Die Vorschläge, die bei bisherigen Planungen aus den Leitungs- oder Leistungsetagen der Unternehmen und Stadt kommen, sind zu einem Großteil immer wieder dieselben Versatzstücke aus der Klamottenkiste und nehmen kaum bis gar keinen Bezug auf die oben genannten Themenfelder. Stadthäuser/Stadtvillen, Nahversorger, Gewerbe, Stellplätze, Hotels etc. sind allseits beliebte und immer wieder auf den Rammschtisch geworfene „Ideen”. Im Zuge dessen wird dann auch eher ungern Rücksicht auf teilweise jahrzehntelangen Bestand (und somit bestimmte Charakteristika eines Stadtteils bspw.) genommen, noch wird überlegt, wie man alle Menschen mitnehmen kann, also auch die, die mitgeholfen haben Stadtteile neu zu beleben oder auch einkommensschwache Menschen.

Eine Stadt ist im besten Falle stets heterogen. Menschen verschiedener Couleur treffen aufeinander und leben miteinander. Diese bunte Mischung droht abhanden zu kommen und passiert das erst einmal, so werden schnell Grenzen gezogen und Mauern errichtet. Einander verstehen, Empathie empfinden und Neues entdecken kann man in solch einer Atmosphäre nicht. Also ist es letztlich auch eine bedeutsame gesellschaftliche Frage, der wir uns ALLE gemeinsam stellen müssen. Ist Ab- und Ausgrenzung das Ziel oder diese Heterogenität zu behalten und sie weiter zu fördern?

In Leipzig haben wir noch die Möglichkeiten darauf Einfluss zu nehmen. Die ersten „gated communities“ wie sie etwa in der Karl-Tauchnitz-Straße entstehen sollten, konnten glücklicherweise verhindert werden, d.h. aber nicht, dass sie nicht in Zukunft doch entstehen könnten. Ausgrenzung passiert und funktioniert zudem auch schon viel subtiler, etwa indem Asylbewerberheime an den Rand der Stadt gedrängt werden und selbst da eher als Gefahr empfunden werden statt als Chance. Ähnlich problematisch ist auch die massive Aufwertung von Gebieten durch die weiter oben beschriebene Faktoren, wie u.a. mit humanistisch anmutenden Namen angehauchte Stadtvillen, in denen man natürlich lieber ruhig wohnen mag, als in einer etwas lebendigeren Umgebung.

Große Entwicklungsprojekte bzw. -flächen, die die stadtplanerische Zukunft Leipzigs unabhängig von kleinteiligeren Projekten entscheidend mitprägen sind u.a. der Bayerische Bahnhof, das Agra-Areal, die Alte Messe, der Lindenauer Hafen, das Gelände am Plagwitzer Bahnhof, das Jahrtausendfeld sowie das Gelände hinter dem Hauptbahnhof. Teilweise sind dort schon die Würfel gefallen, teilweise stecken die Pläne aber noch in der Schublade fest bzw. werden überarbeitet. Einsehen könnt ihr “Details” dazu u.a. auf http://www.leipzig.de/de/buerger/stadtentw/ und noch etwas genauer hier:

http://www.leipzig.de/de/buerger/stadtentw/stadtern/gebiete/westen/hafen/index.shtml

http://www.leipzig.de/de/buerger/stadtentw/projekte/Stadtraum-Bayerischer-Bahnhof-23638.shtml

http://www.leipzig.de/de/buerger/stadtentw/projekte/stadtentw/messe/

http://www.leipzig.de/de/buerger/stadtentw/projekte/stadtentw/agra/

http://www.buergerbahnhof-plagwitz.de/

http://www.jahrtausendfeld.de/

Zugegebenermaßen liest man hier viel Beamtendeutsch, erhält wenig aktuelle Informationen (etwa über momentan stattfindende Verfahren und Planungen) und doch steht die bohrende Frage im Raum: Für welche Klientel wird hier eigentlich entwickelt?
Bebauungspläne folgen meist den Interessen der Bauträger. Diese sind zu großen Teilen private Investoren, die wiederum zu einem Großteil nicht aus Leipzig stammen und ebenfalls die oben genannten Versatzstücke auf den Tisch bringen, da sich damit schlichtweg das meiste Geld machen lässt. Hier stellt sich die Frage, wie die Stadt diesem Umstand entgegenwirkt.
Zu zuallererst sollten Flächen nicht mehr nur nach rein ökonomischen Gesichtspunkten vergeben werden, sondern auch unter den Gesichtspunkten der örtlichen Gegebenheiten und Charakteristika. Ein Bebauungsplan sollte stets in der Lage sein, Historisches zu bewahren und Neues zu ermöglichen. Die Balance kann aber nur gefunden werden, wenn es um Inhalte geht und nicht vorrangig um Geld. Erst dann kann man auch über Schlagworte wie Nachhaltigkeit, soziale Mischung, Kultur etc. sprechen. So bleiben diese Begriffe schlicht hohle Phrasen. Es muss also die Frage gestattet sein, ob es immer private Investoren sein müssen oder ob hier und da nicht auch die öffentliche Hand stärker gefragt wäre, entweder selbst zu investieren und/oder nicht primär kommerzielle Investoren ins Boot zu holen. Hier müssen neue Wege gefunden werden, damit wir nicht innerhalb der Stadt zu Nomaden werden (müssen).

Diese Forderungen– dessen sollten wir uns bewusst sein – nehmen uns zugleich in die Pflicht: die Pflicht, nicht weiter zuzuschauen wie Leipzig seinen Charakter verliert und zu einer Stadt wird, wie es schon tausende weitere auf dem Globus gibt. Wir wollen keine Stadt, in der es schlichtweg um wirtschaftliche Interessen geht und nicht um Lebensqualität. Was genau für Euch diese Lebensqualität auszeichnet, das müsst Ihr entscheiden und für Euch definieren!

Geht einmal über die oben genannten Flächen, versucht Euch vorzustellen was da in naher und ferner Zukunft passieren könnte bzw. konkret passieren soll und öffnet ganz einfach die Augen beim nächsten Spaziergang durch den Kiez etwas mehr als Ihr es vielleicht ohnehin schon macht. Beobachtet und entwickelt ein Bewusstsein für Euer Umfeld und versucht Euch an Visionen. Vielleicht wird es allen miteinander ja möglich sein, diese Visionen in zehn, zwanzig oder dreißig Jahren zu leben und mitzugestalten!